Sonntag, 8. November 2015

Von der Scholle leben...


...diesen Traum haben viele schon gehabt, oder? - Wie wir wissen, ist ein autonomes Leben nur unter der Voraussetzung möglich, dass man sich in seiner Lebensweise erheblich einschränkt. Wir kennen ein paar Menschen in unserer Nähe, die das - aber eben nur zum Teil - tun. Bei der Versorgung mit Energie fangen die Schwierigkeiten schon an: Da gibt es welche, die ohne Anschluss an das öffentliche Stromnetz leben. Die im irischen Wetter zunächst plausibel erscheinenden Windräder sind allerdings sehr selten Quelle für Energie, meist sind es Solar- bzw. Photovoltaikzellen. Die meisten Iren heizen allerdings mit Öl, wenn nicht wie eh und je mit Torf und Holz. Pelletsheizungen sind noch mehr Nischenprodukt als in Deutschland.

Allenthalben ein typischer Anblick

Für eine sinnvolle Heizleistung mit Holz ist allerdings eher selten gesorgt. Im Gegenteil: Der traditionelle offene Kamin ist sogar in Neubauten vorzufinden, obwohl die gewonnene Wärmeausbeute sehr gering ist. In den alten Cottages, die ganzjährig mit dem überall abzubauenden Torf geheizt wurden, mag diese Art des Dauer-Kaminfeuers (und das Trockenhalten der unisolierten Steinmauern) seinen Sinn gehabt haben... Aus dieser Vergangenheit ist es jedoch ein langer Weg zum heutigen Denken über Gewinnung und Erhaltung von Energie. In unserer Gegend wird nur das eine oder andere Haus mit einem energetisch ausgeklügelten System geheizt. Die Zentralheizung in unserem Mietshaus zum Beispiel verbraucht pro Winter über tausend Liter Öl - und wir heizen eher gut unter 20 Grad und auch nur wenige Räume. Zusätzlich kommt in vielen Häusern auch noch Gas aus Flaschen zum Einsatz - zum Kochen oder auch für heißes Wasser. Ganz selten trifft man auf geothermische Anlagen; von Biogasanlagen in West Cork haben wir noch gar nicht gehört. 
Sich unabhängig von fossilen Brennstoffen zu machen, ist in Irland also eher kein primärer Anspruch. Hinzu kommt die unter heutigen Gesichtspunkten notwendige Mobilität, die das eigene Auto fast unverzichtbar erscheinen läßt. Höchstens drei Bekannte von uns nennen kein Kraftfahrzeug ihr eigen. Einen Führerschein haben bis auf einen von ihnen alle...
Besser sieht es da - im Gegensatz zum dicht besiedelten Deutschland - mit der Wasserversorgung aus. Es gab von jeher sehr viele Haushalte, die sich mit eigenen Brunnen versorgten - versorgen mussten. Aber auch Neubauten werden oft unabhängig von der landesweiten zentralen Wasserversorgung mit Brunnen versehen; eine nicht nur finanziell reizvolle Alternative zum inzwischen auch in Irland kostenpflichtigen Leitungswasser, dessen Besitz zudem auf der Kippe zur Privatisierung steht. Außerdem ist das Wasser aus den schlecht in Stand gehaltenen Leitungen durch die Aufbereitung mit Zusätzen wie Chloriden und Fluoriden mindestens ungenießbar, wenn nicht gar ungesund. Eine weitere - wenn auch aufwändige - Alternative ist die Versorgung aus öffentlich zugänglichen Quellen. Für uns ist das wohlschmeckende und gesunde Wasser auf unserem wöchentlichen Einkaufsweg nach/von Skibbereen zu bekommen, und das - vom Benzingeld abgesehen - kostenlos.

Unsere Trinkwasserversorgung: Eine heilige Quelle
Einer unser Hauptgründe, in Irland leben zu wollen, war (und ist) das Ziel, einen eigenen Obst- und Gemüsegarten zu betreiben. Einige unser Bekannten beziehen ihr Gemüse und Obst fast ausschließlich aus dem eigenen Garten; nur im Winter wird es manchmal schwierig. Die Lagerung ist im generell nicht unterkellerten irischen Haus ein Problem, ein anderes sind die klimatischen Bedingungen: Ständige Feuchtigkeit durch Regen, Wind und damit einhergehend Salzeintrag von der See werden vom milden Klima nur bedingt wett gemacht. Das wirkt sich auf vieles im Freiland Angepflanztes aus: Obst ist schwierig, wenn es auch einige ganz gute Apfelsorten gibt. Gemüse gedeiht besser, aber nicht jedes Jahr in verläßlicher Qualität. Die besten Ergebnisse erzielt man in Gewächshäusern beziehungsweise in den überall vorzufindenden Polytunnel.
Der Polytunnel einer guten Freundin war gerade für zwei Wochen in unserer Obhut.
Immer wieder einmal werden wir gefragt, ob wir auch Tiere halten möchten. Nach unserer Einschätzung werden wir zunächst darauf verzichten; von Katzen einmal abgesehen. Einige unserer Bekannten nennt neben den Ungezieferjägern zusätzliche Nutztiere sein eigen - zumeist Hühner, ab und zu Ziegen, manchmal Pferde oder Esel. Schafe machen nur in größerer Anzahl einen Sinn, Kühe dagegen machen auch in kleiner Zahl Mühe - und sie zu halten, lohnt sich einfach nicht; zumal ihre vermeintlich wertvollen Produkte - Milch und Fleisch - schon längere Zeit nicht besonders hoch im Ansehen stehen, notwendige Nahrungsmittel zu sein. Außerdem schreckt die Tatsache, dass die Produktion von 100 Kalorien Fleisch in seiner Herstellung 97 Kalorien vernichtet... Veganes Leben wird in unser Gegend an jeder Ecke angepriesen. Auch im Café des Social Clubs wird immer öfter danach gefragt. Für Jens wäre das auf die Dauer nichts, weil er gerne Fisch isst. Auch Sigi hat gegen nichts gegen Fisch, wenn es nicht immer Makrelen sind. Davon allerdings fangen wir hier selbst am meisten - unser Tiefkühlschrank weiß ein Lied davon zu singen.
Vom Muschelsammeln haben wir ja bereits im letzten Winter erzählt; allmählich sehen wir schon wieder Leute aus der Umgebung mit verräterischer Ausrüstung und Haltung in unserer Hausbucht nach den Weichtieren suchen. Solange das Wetter es zuläßt, gehen wir lieber Fischen. Es sind zwar tatsächlich hauptsächlich Makrelen, die wir an Langleinen vom langsam kreuzenden Motorboot angeln, aber gegen fangfrische Makrelen kommt wirklich nur Wenig gegen an! - Außerdem verbringen wir auf diese Weise in angenehmer Gesellschaft eine schöne Zeit an frischer Luft.
Man sieht keine Angel - aber hier gehen wir tatsächlich Fischen! (Wer genau hinsieht, entdeckt die Langleine.)
Überhaupt - wenn das Gärtnern schon durch das allgegenwärtige Meer so stark beeinflusst wird - warum dann nicht die Gärten des Meeres nutzen?! Seegras, Algen, Tang - im Englischen alles unter dem Begriff "Seaweed" zusammengefaßt, werden von Manchen als Nahrung der Zukunft bezeichnet. Leider ist das Wissen um ihren Nutzen noch nicht so verbreitet; auch uns fällt es immer noch schwer, die Produkte der ozeanischen Pflanzenwelt in unserer Küche einzusetzen. Immer wieder vergessen wir die Tütchen mit dem Sortiment, das uns Paul verkauft. https://www.roaringwaterseavegetable.ie/
Wenigstens wissen wir zu nutzen, dass alle Arten von Seepflanzen hervorragend als Bodenverbesserer zu gebrauchen sind: Sie lockern den Boden auf, geben Nährstoffe ab und können im Winter sogar eine Schutzschicht gegen leichten Frost bieten.
Paul's Marktstand auf einer Freiluft-Messe während des West Cork Food Festival  (http://www.atasteofwestcork.com/de/)
Paul ist ein gutes Beispiel für die vielen Menschen in unserer Gegend, die aus ihrer Passion einen Geschäftszweig gemacht haben. Oft fängt es mit der Idee an, Freunde und Bekannte zum Tausch zu finden. Ansätze, in unserer kapitalisierten Industriegesellschaft ein "richtiges Leben" zu führen, gab es in den letzten Jahrzehnten immer wieder - auch in West Cork. In Bantry gab es eine Zeitlang einen Tauschring mit eigener Währung. Neben und nach dessen Verbot durch die hiesigen Steuerbehörden hat es immer wieder Rückschläge für utopische Ideen vom Aussteigen gegeben. Dennoch funktioniert ja auch unsere globale Wirtschaft auf der Basis eines Tauschsystems, es ist nur ziemlich aus den Fugen geraten. Denn wenn ein Versorgungssystem gut funktionieren kann, dann ist das durch Tausch gestützte.  
Wir machen uns keine Illusionen, aber berechtigte Hoffnungen!
Enjoy!