Sonntag, 6. September 2015

Straßen

Wie Ihr wißt, wird in Irland auf der linken Seite gefahren; ab und zu erinnert auch uns ein etwas deplaziertes Schild an irgendeiner Stelle einer Hauptstraße daran. Wir fragen uns manchmal, wer diesen Umstand zwischendurch vergessen haben mag... Andererseits gibt es jede Menge Straßen in Irland, auf denen man genau genommen weder links noch rechts fahren kann - vielleicht deshalb die merkwürdigen Erinnerungsschilder...
Nein, das ist nicht gemeint! - Aber folgendes:
 Lustig ist auch dieses Überholverbot.

- Nun ja, das Schild macht Sinn, wenn man bedenkt, dass man auf dieser Überlandstraße schließlich generell mit Tempo 80 seine Stoßdämpfer ruinieren darf. Allerdings kann es auch sein, dass hinter dem Baum (wegen der von links einbiegenden Straße) ein weiteres 80-Schild und dann hinter der nächsten Kurve ein Vorfahrt-Gewähren-Schild kommt... man kann nie wissen. 
Man muss ein wenig 'Altertums'forschung betreiben, um zu begreifen, auf welcher (bestechenden?) Logik das irische Straßenverkehrssystem basiert. Auf der oben zu sehenden untergeordneten Landstraße war bis vor etwa zwanzig Jahren wahrscheinlich nur selten ein Auto unterwegs... 
Diese Straße im bergigen Kerry war mit Sicherheit immer eine viel benutzte - besonders breit ist sie jedoch bis heute nicht.
Der Verlauf vieler Straßen ist noch auf die Zeit vor dem überrraschendem Boom der 90er Jahre zurückzuführen. Ein kleiner Teil der ohnehin geringen Population Irlands konnte sich Autos leisten, der überwiegende Personentransport fand mit Bussen und bis in die späten 60er Jahre auf einem weit verbreiteten Bahnnetz statt. Der Güterverkehr nutzte neben der Bahn Kleinlastkraftwagen, Trecker und bis in die 90er Jahre hinein noch verbreitet Pferde- bzw. Eselkarren.  
Ein inzwischen seltener Anblick!
Ein Straßensystem im Sinne verwöhnter Festlandeuropäer gab es auf er dünn besiedelten irischen Insel im Grunde genommen nicht. Was es gab waren Verbindungen zwischen den Ortschaften und überdies jede Menge Feldwege. Erst im Zuge der Motorisierung und vor allem der Zersiedelung entstand die Notwendigkeit, die Verbindungen zwischen den Ortschaften auszubauen und die Feldwege zu asphaltieren. In der Grafschaft Cork sieht man an vielen Stellen, dass der allgegenwärtige Schiefer in seiner typischen Plattenstruktur den Wegeverlauf meist vorgegeben hat. Nur selten musste der Schiefer für solch einen Verlauf aufgebrochen werden - im Grunde haben nur die Kurvenvorgaben von Eisenbahnstrecken solche Arbeiten verlangt; Beispiele hierfür finden sich in West Cork einige - eine Eisenbahn westlich von Cork City leider nicht mehr. Über dieses Thema vielleicht einmal an anderer Stelle...
 
Hier wurden Felsen und Asphalt ineinander verarbeitet
Dort wo Ortschaften weiter auseinander lagen und die geografischen wie Eigentumsrechtlichen Vorraussetzungen gegeben waren, wurden (zum Teil übertrieben) breite Überlandstraßen der Kategorie 1 (Tempo 100) oder 2 (überwiegend Tempo 80) ausgebaut. Auf dem Streckenverlauf der aufgegebenen Eisenbahntrassen waren die Gegebenheiten für schnellere Passagen natürlich optimal. Alle übrigen Wege wurden asphaltiert und außerhalb von Ortschaften zu regionalen Landstraßen (generell Tempo 80).

Diese Straße windet sich um die Felsen des Ring of Beara - und darf generell mit Tempo 80 befahren werden.
Nach dieser Logik - aber vor allem vor dem Hintergrund der Geschichte Irlands in den letzten fünfzig Jahren mit dem schnellen Sprung von einer wenig mobilisierten Gesellschaft zu einer mit modernsten Fahrzeugen ausgestatteten -  ist die oben genannte Beschilderung zu verstehen: Wo Tempo 100 erlaubt ist, kann man generell mit Tempo 100 (oder auch 110) fahren - allerdings sollte man (wie natürlich in Deutschland auch) auf Eventualitäten wie unübersichtliche Kurven, Haus-Auffahrten, Tiere auf der Fahrbahn etc. gefaßt sein. Wo Tempo 80 erlaubt ist, sollte eher der eigene Verstand eingeschaltet werden - mit deutscher Autofahrmentalität kommt man nicht weit, bzw. man endet im Graben, an einer Mauer, mit einem geplatzten Reifen oder im entgegenkommenden Fahrzeug. 
Diese offensichtlich einst zu einem Privatgrundstück gehörene Durchfahrt ist inzwischen Teil einer öffentlichen Landstraße
Der Ire weiß um diese möglichen Gefahrenstellen (deswegen ist es generell eher eine Freude im Touristen-armen Winter zu fahren); es gibt Iren, die kennen fasst jede Straße in ihrem Land.
Allerdings kommt es trotz des insgesamt durchdachten und zumindest generell logischen Systems immer wieder zu Merkwürdigkeiten oder Ungereimtheiten, wie zum Beispiel dem oben gezeigten Überholverbot auf einer ohnehin nur einspurigen Fahrbahn.
Es kommt zum Beispiel auch vor, dass auf einer Kategorie-1-Landstraße dreißig Meter vor einem 100-Schild die Aufschrift "SLOW" auf der Straße zu lesen ist - was auch immer das für den geneigten Benutzer der Straße bedeuten mag. An unten zu sehendem Ort wiederum können wir uns etwas anderes als Langsam-Fahren kaum vorstellen: 
Manchen Fahrern - vor allen Touristen, die es gewohnt sind, mit GPS zu fahren - fällt schwer, sich auf irische Straßenverhältnisse einzustellen. Unser erster Tipp wäre: GPS abstellen, sobald man von einer Kategorie-1-Straße abfährt! (Jens hat auf seinem einstmals üblichen Sonntagmorgen-Weg  zum Museumshafen Oevelgönne mal einen VW Golf auf der Schiebe(!)strecke kurz vor dem Restaurant "Süßwasser" stecken sehen - die ältere Fahrerin hat sich von ihrem Navi dort hin leiten lassen.)
Der zweite Tipp: Nicht alles so genau nehmen! - Lieber die Szenerie in sich aufnehmen, langsam verarbeiten und (die richtigen) Schlüsse ziehen; nicht vergessen: Der Ire neigt zum Fatalismus.
Dieses Schild (wie das Pfeil-Schild sowie die Hütchen dahinter) ist eigentlich überflüssig - an dieser Stelle Ballydehob's ist es immer eng, und durch die beidseitig parkenden Autos einspurig. Die Bauarbeiter waren einfach verpflichtet, die Schilder aufzustellen, und sie grinsten verlegen, als sie es vor unseren Augen taten...
Die selbe Stelle von der anderen Seite aufgenommen. Die Durchgangsstraße führt zwischen dem weißen Haus mit der Statue des Wrestling-Weltmeisters Danno O'Mahony und dem Pub "Rosies" entlang. Das gälisch-sprachige Schild im Fordergrund besagt übrigens, dass "Levis" Pub ungefähr jetzt geöffnet hat...
Auch in der Schull Main Street ist es mit dem zweispurigen Verkehr so eine Sache. Niemand hält sich an die einfach oder doppelt durchgezogenen Park- bzw. Halteverbots-Linien. An manchen Tagen im Sommer wird zusätzlich zu den geparkten Wagen der für den Individualverkehr private Raum wieder zum gemeinschaftlichen öffentlichen!
Eines jedoch haben selbst die Iren wohl nicht voraussehen können: Aufgrund der beiden überdurchschnittlich guten Sommer 2013 und 2014 ist Irland für immer mehr Menschen zum Urlaubsziel geworden. Zusammen mit der Perfektionierung der Kartografie (Stichwort: GPS) wagen sich immer mehr Touristen selbst in die entlegensten Gebiete vor; es gibt Tage, an denen gefühlt jedes zweite Auto entweder ein Leihwagen oder ein Wagen mit ausländischem Kennzeichen ist - überwiegend natürlich Engländer, die zumindest das Linksfahren kennen und behrrschen. Doch auch französische, deutsche und holländische Kennzeichen haben wir in diesem Sommer überdurchschnittlich viele gesehen.
Wenn überdies die Vegetation das tut, was sie nun einmal ab dem Frühjahr, und insbesondere in Irland zu tun pflegt, nämlich fleißig gedeihen - dann wird es kritisch. Spätestens zu den Sommerferien ist alles zugewachsen - nur selten wird der Straßenrand rigoros von großen Sensen bearbeitet (wobei ab und an eine alte gestapelte Steinmauer in sich zusammen und auf die Straße fällt). Private Initiative ist gefragt - und eben die Vorsicht und Geduld der Autofahrer.

Erkennt Ihr den Graben?




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